„vom schein zum sein“
... Nachdem er nun die Maske über sein Gesicht gezogen hatte, schien die ihm so vertraute Welt verwandelt, als blicke er durch neue, unbekannte Augen. Auch sein Empfinden und vor allem sein Gefühl zu sich selbst erlebte er nun als verändert. Sein gesamtes Selbstempfinden, welches er bislang mit den Worten formulierte wie: „Das bin ich“ oder „So bin ich“, schien ihm nicht verloren sondern erweitert. Ergänzt durch eine Wahrnehmung, die ihm seither unzugänglich war. Vieles, was er bisher zu glauben wusste, wurde jetzt durch eine Fülle anderer Betrachtungswinkel, die sich nun unmittelbar seinem Bewusstsein erschlossen sanft in Frage gestellt. Die Welt war gar nicht so fest und klar definiert wie er bisher zu glauben hoffte.
Diese Erfahrung beflügelte nicht nur seinen Geist, sondern eröffnete seinem Denken die Tür zu einem Ort, dessen Reichtum an Kreativität er bislang nicht sein eigen nennen dürfte. Und darüber hinaus erfüllte sich sein gesamtes Wesen mit Liebe. Einer warmen, ehrlichen und doch unspektakulären Liebe für die Welt und für all seine Mitmenschen. Für all jene, die ihn jetzt umgaben genau so wie für jene, die in diesem Moment aus dem Meer seiner Erinnerung entspringend, ihn freundlich betrachteten.
Als er sich nun aus seiner Maske heraus im Raum umschaute, verstand er schlagartig, dass jeder Einzelne, genauso wie er, in der eigenen Welt allein und gefangen ist, isoliert und einsam. Solange, bis das Individuum, so wie er jetzt begreift, dass es auf Grund seiner persönlichen Lebenserfahrung die Welt interpretiert und wertet, um dann wiederum unbewusst diese, seine Weltanschauung dem Gegenüber wie ein Universalraster überzustülpen. All die Missverständnisse kamen bislang nur dadurch zu stande, dass er dachte, seine Mitmenschen, oft sogar seine geliebte Partnerin seien oberflächlich, gleichgültig, dumm oder sogar bösartig, wenn sie seine ehrlich gemeinten und klar formulierten Worte nicht recht zu verstehen wussten.

Er ging davon aus, dass alle jene, die die selbe Sprache sprechen den Worten auch die selbe Bedeutung beimessen. Wenn er etwas klar und deutlich formulierte, lag es seiner Meinung nach immer am Gegenüber, wenn er auf Unverständnis traf.
Nun bekam er eine Ahnung vom Wesen dessen, was wir allgemein mit dem Wort Kommunikation eingrenzen. Nun verstand er, dass er beispielsweise mit dem Vehikel Sprache nicht mehr erreichen konnte, als dem Zuhörer ein Angebot zu machen, ihm so gut es geht zu folgen, um jenem, einen Einblick in seine persönliche Sicht der Dinge zu zeigen. Was sein Gesprächspartner seinen Worten entnimmt und welche Bilder, Gefühle oder sogar Erkenntnisse dieser daraus ableitet, ist wiederum so vielfältig, wie es Menschen mit deren Geschichten gibt.
Auch umgekehrt, so erkannte er nun, gab er bisher den gehörten Worten auf Grund seiner individuellen Erfahrung, dessen Deutung und Bewertung, entsprechend seinem Sinngehalt. Diese Deutung der Wortreihen, basierend auf seiner persönlichen Interpretation des Gesagten mit „Ich verstehe dich“, zu beantworten, schien ihm jetzt wie ein hohles, lebloses und zudem egozentrisches Gefasel. Das einzige, was er je ehrlichen Herzens hätte entgegnen können, wäre, dass er eine ungefähre Ahnung von dem hat, was ihm zu verstehen gegeben wurde.
Diese Erkenntnis schmerzte ihn sehr und gleichzeitig schien die Wonne dieser Einsicht grenzenlos. Diese lebendige Erfahrung, nun, da er die Maske eines anderen Menschen trug, eröffnete ihm eine Welt, die wieder voller Wunder und Abenteuer war. Getragen von der Gewissheit, dass wahre Kommunikation nicht über Worte, sondern über die Brücken, die alle Herzen aller Lebewesen miteinander verbinden, geschieht. Er fühlte, dass er nun um ein beträchtliches Mass mehr in dieser Welt angekommen und mit allem verbunden war.
Und während er, diesem Gedanken nachspürend, zart seine Brust berührte, und schaute, sah er ihr das erste mal in die Augen und verstand
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